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Fünf Jahre ist es beinahe her, der Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 stand an, da kam Die Linke auf die Idee, das Logo „Die Linke … und die Stadt gehört Euch!“ zu kreieren.
Viele Wähler*innen glaubten an dieses Versprechen und schenkten der Partei mit 15,5 Prozent ein ordentliches Wahlergebnis, sie lief knapp vor den Grünen ein und der sogenannte Senat „R2G“ wurde gebildet, an dem sie beteiligt ist.
Mit Stadtbausenatorin Katrin Lompscher hatte sie eine kontroverse Person für das Programm der Stadtrückgabe in den Mittelpunkt gestellt – sie war bis zu ihrem Rücktritt vor wenigen Monaten Senatorin fürs Bauen und Wohnen. Und darum geht es im Wesentlichen: Wie wirkt sich die Bau- und Wohnungspolitik auf die Gestaltung der sozialen Räume in Berlin aus? Sie tut es so stark wie kein anderes Politikfeld, deswegen wird dieser lange von der SPD gehaltene und nur sehr ungern an die Linke abgegebene Posten des Stadtbaumanagements gerne als der zweitwichtigste in der Regierung angesehen, manche sagen, er sei wichtiger als derjenige des Regierenden Bürgermeisters oder der Regierenden Bürgermeisterin. 2016 fiel es mir nicht so auf, sondern erst während meiner Einarbeitung in den #Mietenwahnsinn ab Mitte 2018 und verstärkt ab 2019 im Rahmen der Restitution des Wahlberliners:
Das Motto „Wir geben euch die Stadt zurück“, das ich von Linken-Politiker*innen schon als Abwandlung gelesen habe, zeugt von einer falschen Haltung. Uns muss niemand etwas zurückgeben, was die Politik uns in den 2000ern in einer einzigartigen Welle der Vernichtung staatlichen Vermögens weggenommen hätte, denn es hat uns nie gehört. Städtisches Wohnen ist nicht sozialistisches Wohnen, diese Gleichsetzung hat schon in der DDR nicht funktioniert, denn Subvention ist nicht alles und nicht das Meiste, sondern es geht um Partizipation und die Ermächtigung der Stadtgesellschaft zu eigenständigem Handeln in eigener Verantwortung durch Beteiligung. Wohnungspolitisch ist dieses Modell auch durch das Wirken von R2G nicht weit vorangekommen. Oh ja, einzelne Häuser und Inselchen der Selbstverwaltung wurden mit viel medialem Aufwand installiert.
Befördert wurde der Auftrieb durch die natürlichen Gegner der solidarischen Eigenständigkeit, die Kapitalisten und ihre Campaigner*innen. Kleine Selbstermächtigungsmodule wurden zu Umsturzversuchen aufgeblasen, die gegen das Grundrecht auf Eigentum gerichtet sind. Ja, wär’s denn so gewesen.
Wäre es so gewesen, hätte sich zum Beispiel nicht die Initiative zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gründen müssen, die belegt, dass es genau in die falsche Richtung läuft. Den Emanzipationsinselchen steht ein beispielloser Raubzug von sogenannten „Investoren“ durch die Stadt gegenüber, der für enorme soziale Verwerfungen sorgt. Immer mehr wird Immobilienvermögen in der Hand maximal renditeeorientierter Konzerne gebündelt und mit denen ist aus Gründen der Machtverteilung schwer zu verhandeln. Mühsam wurde der Mietendeckel durchgesetzt, für den es höchste Zeit war und der die langfristigen Probleme nicht lösen, sondern nur etwas Luft zu ihrer Bewältigung verschaffen wird – und dieser ist noch nicht rechtssicher.
Der Wahlberliner hat einige Fälle von Verdrängung, von Leerstand, von Räumung ausführlich dargestellt und den Kampf von Mieter*innen um ihre Häuser. Es ging mal so, mal so aus, manchmal gab es eine Rekommunalisierung, manchmal auch zu etwas fragwürdigen Konditionen, meistens aber war der große Kampf umsonst: Die Investoren siegten, einige wiederum mit „Abwendungsvereinbarungen“ als einer Art von Milieuschutz-Einhaltungszusicherung plus X, die aber nichts an den in Richtung Großvermieter tendierenden Machtverhältnissen ändert. Im Gegenteil. Das weiß die Politik und es ist ihr Geschäft, kleine Erfolge herauszustellen, während insgesamt die Gentrifizierung fast ungebremst weitergeht. Ist das unehrlich? Kommt ein wenig auf die Perspektive an, es wurde von R2G mehr für die Mieter*innen getan als zuzeiten des rot-schwarzen Senats und ganz sicher mehr als in jenen unglückseligen Jahren, als die rot-rote Verscherbelungspolitik das Szenario bestimmte. Aber es reicht unter den gegenwärtigen Umständen nicht aus und die Corona-Krise hat die Lage noch einmal verschärft. Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, ihr Leben in dieser Stadt zu erhalten und davon profitieren jene, die offenbar unendliche Mittel zur Verfügung haben. Fragwürdige, oft illegal operierende Krisengewinnler und allgemein Gewinner einer Geldpolitik, die zu massiven Fehlallokationen in Betongold führt anstatt zu sogenannten Zukunftsinvestitionen in eine lebenswertere Umwelt und mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft.
Eine Politik, die auch sehr viele Befürworter*innen im linken Lager hat, die offenbar nicht im Blick haben, wem sie mit diesen Ansichten am meisten helfen und genau das Gegenteil einer Sozialisierung erreichen. Wenn man aber zu dieser Gruppe zählt und sich links nennt, muss man wenigstens einen massiven Einsatz dafür erbringen, muss man jeden Tag dafür kämpfen, dass die Folgen für die Stadtbevölkerung in Grenzen gehalten werden und nicht alles in private Immobilieninvestitionen fließen kann, was längst nicht mehr in vernünftiger Relation zum Ertrag steht und es zusätzlich dem Mittelstand verunmöglicht, Eigentum zu erwerben. Insofern wäre es ratsam, auch den Spin der Konservativ-Liberalen mehr anzuprangern, die Normalverdienern einreden wollen, Mieterschutzverhinderungspolitik sei ihr Vorteil, der Vorteil einer leistungswilligen Mehrheit sozusagen. Die leistungswillige Mehrheit und überhaupt die Mehrheit hingegen sieht sich mit Immobilien- und Mietpreisen konfrontiert, die weitaus schneller ansteigen als ihr Einkommen.
Ich sehe in den sozialen Netzwerken zu wenig konzentriertes Gegenhalten vonseiten der Linken. Dieses ist meist Einzelpersonen vorbehalten, die notabene eher als Vertreter ihrer eigenen Linie als derjenigen einer an Solidarität ausgerichteten Partei erscheinen, auch wenn ihre Präsenzen vielleicht (maximal) ein Parteilogo ausweisen. So nehme ich also engagierte Einzelpolitiker*innen und Aktivist*innen wahr, aber der Eindruck eines breiten linken Bündnisses gegen den Ausverkauf der Stadt lässt weiter auf sich warten.
Schauen wir nun aber darauf, was sich beim Parteitag der Linken von Berlin tun könnte. Zunächst möchte ich festhalten, dass ich mich über etwas freue. Nämlich darüber, dass mein Bezirksverband Tempelhof-Schöneberg besonders aktiv ist. So habe ich ihn immer wahrgenommen und kenne seine Fähigkeit, Kampagnen und Inhalte gleichermaßen überdurchschnittlich gut zu erarbeiten und weiß, dass er von der Spitze her gut aufgestellt ist. Man hat sich also bei uns viel mit dem Thema der Zeit befasst und auch versucht, es unter der Ägide von Corona im Auge zu behalten. Man hat es unter dem Corona-Regime weitergedacht, das uns nun allen so viel abverlangt. In einem Papier zum Parteitag werden gleich mehrere Vorschläge aus TH-SB gelistet, die sich mit der sozialen Perspektive der Mehrheit in dieser Stadt befassen, zum Beispiel:
Der Einsatz für bezahlbare Mieten, für gute Löhne und sichere Jobs, für Grünflächen und Freiräume für Kunst und Kultur vor Ort, also für lebenswerte Kieze ist dabei unser Weg für mehr gesellschaftliches Miteinander und gegen die Spaltung in unserer Stadt. Die Berliner Politik muss sich in den nächsten Jahren daran messen lassen. Insbesondere bei selbstverwalteten Kultur- und Jugendzentren muss der politische Druck auf private Vermieter und Investoren genauso wie auf den Finanzsenat verstärkt werden, um wichtige soziale und kulturelle Projekte der Stadt zu erhalten und bei erfolgter Verdrängung diesen Projekten alternative Räumlichkeiten z.B. in Räumen der Liegenschaften der BIM oder in Gebäuden der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung zu stellen.
Sitzt uns der Verlust von Potse und Drugstore, den bekanntesten selbstverwalteten Jugendzentren der Stadt, in den Knochen? Manchmal reicht Engagement nicht aus, vor allem nicht gegen eine geradezu rechtsbürgerliche SPD, in der es viele Feinde sozialer Projekte und gegen jede solidarische Denkweise gibt und gegen indolente Grüne im Bezirk. Das hat man bei uns gerade erfahren müssen. Deswegen lese ich die Forderungen mit Interesse, bin aber mittlerweile zu eduziert in diesen Dingen, habe zu viele Fails, zu viel Wut und die Tränen der Verdrängten und Verratenen gesehen, als dass ich nicht wüsste, dass Forderungen wohlfeil sind, wenn sie nicht bis in die Parteispitze und von dort mit Durchsetzungskraft, mit großem persönlichen Einsatz, in den Senat getragen werden.
Dass Katrin Lompscher ersetzt wurde, ist diesbezüglich alles andere als ein gutes Zeichen. Ich möchte an dieser Stelle nicht das Verhältnis des Linken-Bezirks TH-SB zur Landesspitze referieren, das hat mich als Wähler und als eine Person, die sich gegen den Ausverkauf wendet, nicht zu interessieren. Die Politik muss sich selbst wenigstens geregelt bekommen, damit sie uns dabei unterstützen kann, die Stadt durch solidarische Projekte zurückzugewinnen. Mehr verlangen wir nicht. Niemand muss die Absicht haben, uns Paläste oder auch nur Hütten zu schenken. Aber wir wollen uns sinnvoll aktiv einbringen dürfen. Diese Chance haben die meisten Mieter*innen nach wie vor nicht. Nirgends steht leider in dem Dokument (1. Tagung des 8. Landesparteitags: Landesverband Berlin (dielinke.berlin)) etwas ganz Wichtiges, und das ist bezeichnend. Zu lesen ist dies:
Bezahlbare Mieten bleiben auch im nächsten Jahr die zentrale politische Herausforderung. DIE LINKE hat in diesem zentralen Feld mit Katrin Lompscher eine wirkliche Wende in der Stadtentwicklungspolitik eingeleitet. Mit Sebastian Scheel setzen wir diesen Weg konsequent fort. Der Ausbau des Wohnungsbestands in öffentlicher Hand bleibt unser Ziel.
Leider hat aber Frau Giffey von der SPD schon angekündigt, dass sie 2025 den Mietendeckel beenden will, obwohl sie die Lage unmöglich vier Jahre im Voraus beurteilen kann. Ich vermisse in dem gesamten Text vor allem eines: das Wort Klasse. Und demgemäß den Klassenkampf. Von oben wird munter gedrückt, Politiker wie der wieder einmal Beinahe-CDU-Vorsitzende Friedrich Merz reden bezüglich einer Wiedereinsetzung der Vermögensteuer von #Neidsteuer, aber Die Linke traut sich nicht, mit bewährten Kampfbegriffen dagegenzuhalten, die angesichts dieses Spins allemal angebracht sind. Ich vermisse eine Ausdrucksweise, die ernst gemeinte Kampfbereitschaft gegen den immer rüderen Durchgriff des Kapitals in Berlin signalisiert.
Unsere Wahlprogramme – unsere Vorschläge für ein besseres Berlin – auf Landes- und Bezirksebene erarbeiten wir derzeit im Austausch mit Gewerkschaften, Initiativen und fachpolitischen Akteuren. Wir vertrauen auf die Ideen und das große Engagement der Vielen in unserer Stadt und wollen mit ihnen gemeinsam die Stadt verändern. Deswegen stehen wir als einzige der Berliner Parteien fest an der Seite der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ und werden diesen großartigen Kampf mit all unseren Mitgliedern unterstützen.
Zum Glück gibt es wenigstens welche, die kämpfen, aber, ganz ehrlich: Was das Aufnehmen von Ideen aus der Stadtgesellschaft angeht, sind sogar die Grünen in manchen Bezirken weiter oder stellen sich wenigstens so dar. Und wenn die Linken nicht die verpeilten Gewerkschaften erwähnen dürfen, sind sie offenbar nicht glücklich. Ich kenne keine Mietergewerkschaft in Berlin, die ein adäquater Partner in diesen sozialen Kämpfen sein könnte und die fachpolitischen Akteure, gemeint sind wohl Menschen wie der Stadtsoziologe André Holm, die hat man sich rechtzeitig absägen lassen. Vor sie hätte man ohnehin Frontkämpfer*innen stellen müssen, aber die Linke läuft allenfalls mit, stellt sich nie an die Spitze, wenn es um die Verteidigung sozialer Räume oder auch progressiver Wohn- und Grundbesitzmodelle geht. Auch diesbezüglich sind grüne Politiker*innen deutlich geschickter. Gute Anträge und Ideen sind also das eine, der Kampf vor Ort das andere.
Der ist in der Regel denen vorbehalten, die es betrifft und ihren Freunden und Nachbarn und denen, die Angst haben, dass es sie ebenfalls treffen wird. Wir brauchen an Solidarität orientierte Parteien, schon wegen der Kontinuität der politischen Arbeit und der Aufstellung für die Gesamtsolidarität innerhalb der Stadt, die ich wiederum bei Initiativen zu selten sehe, die viele von ihnen auch nicht leisten können – aber da kommt einfach zu wenig, und zwar von beiden Seiten. Und dann noch dies: Immer wieder müssen wir zuschauen, wie der rot-rot-grüne Senat rücksichtslos Kapitalinteressen mit Räumungen durchsetzen lässt, gerne auch während der Pandemie und mit allen lebensbedrohenden Konsequenzen für die Betroffenen. Dazu findet sich in dem verlinkten Papier zum Landesparteitag kein einziges kritisches Wort.
Wir kämpfen im nächsten Jahr mit aller Kraft für eine Stadtpolitik, die Gestaltungshoheit für die Berlinerinnen und Berliner zurückgewinnt damit die Stadt wieder denen gehört, die hier leben. Wir wollen, dass sich Politik in Berlin um alle Menschen in der Stadt kümmert und niemanden zurücklässt. Wir wollen, dass Berlin anders bleibt.
Man merkt, dass die Ursprungsformulierung aus dem Jahr 2020 stammt, immerhin kommt das Wort Kampf darin vor, wenn man schon das entscheidende „Klassen-“ weglässt. Wollten wir nicht schon 2016 für alles dies kämpfen, was in dem Papier steht, Berliner Linke? Ich habe nie geglaubt, dass man uns einfach etwas schenkt oder zurückgibt, was wir vielleicht nie hatten, nämlich Sicherheit in unseren sozialen Räumen, die nicht aus uns selbst kommt. Klar ist Berlin anders. Anders auch als vor fünf Jahren, als das große Versprechen den Regierungswechsel bewirkt hat. Anders bedeutet im Moment auch: Diejenigen, die das Anderssein ausmachen, auch die „Systemrelevanten“ unter ihnen, haben einen schwereren Stand denn je.
Viele Menschen in dieser Stadt sind in den letzten Jahren bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten gegangen, um sich gegen die Gentrifizierung zu stemmen, manche darüber hinaus. An sie vor allem denke ich heute. Und daran, dass die Politik sie im Stich lässt.
Mein herzlicher und solidarischer Gruß geht an diesem Tag nicht an die Partei oder deren Delegierte, sondern an die Mieter*innen der Habersaathstraße in Berlin-Mitte, an das Syndikat von Neukölln, an die Kollektive von Potse und Drugstore und an viele andere, die ihre Ziele nicht erreichen konnten, weil die Politik es nicht wollte. Die kämpfenden Berliner*innen haben jedoch mit allem, wofür sie stehen und was sie in die Waagschale geworfen haben, aufzeigen können, dass der Kampf nicht aussichtslos wäre, wenn der rot-rot-grüne Senat den Begriff Solidarität und seine Versprechen aus dem Jahr 2016 ernst nehmen würde. Der Verlust an Nachbarschaft und Kiezkultur ist kein Naturgesetz, er ist politisch gewollt.
Wenn ich sehe, wie gleichermaßen berührend und aussichtslos das Ringen vieler Menschen um ihr Leben in dieser Stadt, um faire Mieten, die Sicherung ihrer Existenz, ihrer sozialen Räume und um ein lebendiges Umfeld unter der Ägide einer rot-rot-grünen Regierung verläuft, bin ich sehr zurückhaltend damit, mich bereits jetzt festzulegen und zu schreiben: An dieses Versprechen glaube ich und diese Politik unterstütze ich noch einmal.
TH